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“Utoya 22. Juli” im Berlinale Wettbewerb

“Utoya 22. Juli” im Berlinale Wettbewerb

Der Anschlag auf ein Sommercamp der Jugendorganisation der norwegischen Arbeiterpartei am titelgebenden Tag im Jahr 2011 dauerte rund 75 Minuten. Perfekt, um einen Survival-Thriller in Echtzeit nach den realen Ereignissen zu drehen. Das dachte sich augenscheinlich Erik Poppe. Den optimalen Zeitpunkt für ein solches Projekt abzupassen, ist nicht einfach. Die Tat muss frisch genug im kollektiven Gedächtnis verankert sein, um die Massen ins Kino zu locken und idealerweise noch eine internationale Kinoverwertung anzustacheln. Übereilig darf die Monetarisierung aber auch nicht gehen. Das sieht sonst nach Aasgeier aus. Die Platzierung im Berlinale Wettbewerb kommt da quasi ein Stempel mit dem Druck „Richtiger Zeitpunkt“. Die Filmemacher können sich also freuen. Zynisch gedacht? Quatsch, das ist Optimismus!

Immer die positive Seite einer Situation sehen. Das ist augenscheinlich die Botschaft des mit einem Minimum an Aufwand, Einsatz und Anteilnahem abgearbeiteten Werks mit dem psychologischen Tiefgang eines Third-Person-Shooters. Statt einer Knarre hält hier die Kamera drauf, während die menschlichen Zielscheiben panisch über die Insel hetzen. Aus dem Off ballern Schüsse, mal aus unmittelbarer Nähe, mal in relativer Entfernung. Wer oder wie viele warum auf sie zielen, ist den jungen Protagonisten unklar. Mehr Informationen über die Ereignisse erhält auch das Publikum, das von Anfang bis Ende dicht an der Seite der Figuren ist, nicht. Mehr ist auch nicht nötig, um den Hintergrund zu kennen. Der Name der Insel genügt. Jeder weiß, was dort geschehen ist.

Der Produktion liegt nicht an Aufarbeitung, Analyse oder Katharsis. Ihr liegt nicht einmal an einem spannenden Film. Die Motivation scheint einzig, einen dramatischen Stoff zu vermarkten, bevor es jemand anderes tut. Ein narratives Konzept ist nicht erkennbar. In der ersten Einstellung spricht die junge Kaja (Andrea Berntzen) wie zum Publikum direkt in die Kamera: Du wirst es nicht glauben, das musst du sehen. Also schön aufgepasst! Pssst, letzte Reihe, gleich wird‘s blutig! Wird es dann aber doch nicht. Teenager rennen, reden von Katzenvideos, Döner und Toyota-Ausflügen. Kaja sing True Colors. Und als einmal Wir-müssen-alle-sterben-Stimmung aufkommt, ruft einer: „Kannst du nicht mal aufhören, so negativ zu sein?“ Always look at the bright side of life …

Der reißerische Massenmörder-Thriller spekuliert auf das tiefsitzende Trauma, das die Anschläge hinterlassen haben. Statt irgendeine Form dramaturgischer, psychologischer oder interpretativer Aufarbeitung der Taten zu versuchen, geilt sich die Inszenierung plump am Grauen auf. Interesse an den Opfern ist nicht erkennbar. Die Jugendlichen sind weniger Protagonisten als Statisten, die schreiend herumflitzen, im Wald kauern oder umfallen. Zwischendurch wird über Katzenvideos und Pop-Songs gequatscht, weil von einem irren Rechtsradikalen verfolgt zu werden offenbar genauso öde ist wie der spannungsfreie Exploitation-Streifen.

  • OT: Utoya 22. Juli
  • Regie: Erik Poppe
  • Drehbuch: Siv Rajendram Eliassen, Anna Bache-Wiig
  • Produktionsland: Norwegen
  • Jahr: 2018
  • Laufzeit: 90 min.
  • Cast: Andrea Berntzen, Aleksander Holmen, Brede Fristad, Elli Rhiannon Müller Osbourne, Solveig Koløen Birkeland, Sorosh Sadat, Ada Eide
  • Beitragsbild © Berlinale
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