#movie #review #cinema #critic #film #festival #podcast

Berlinale ’12: Schuldendruck & Armutsangst ersticken in Kim Jong-hyuns “Choked”

Berlinale ’12: Schuldendruck & Armutsangst ersticken in Kim Jong-hyuns “Choked”

Alles ist erstickend. Sogar das Lachen. Das seiner Mutter kann Youn-ho (Um Tae-goo) nicht mehr ertragen. Keine Wut, nur Kälte. Nicht nur das Klima im winterlichen Seoul, auch das zwischen den Charakteren liegt unter dem Gefrierpunkt. Eisige Selbstsucht lässt jeden zaghaften Annäherungsversuch erstarren, noch bevor aus dem Verlangen nach emotionaler und familiärer Bindung ein Brückenschlag werden kann. Die Verhältnisse sind gequält in dem scharfkantigen Relief, das Kim Joong-hyun von den destruktiven Gesellschaftszwängen der koreanischen Mittelschicht schnitzt. Vor allem aber sind sie prekär. „Alles, was es braucht, ist Geld“, räsoniert Youn-hos Vorgesetzter. Hee-su hat diese Erkenntnis bereits umgesetzt. 

Mit von ihrer geschiedenen Freundin Seo-hee (Park Se-jin) geliehenem Geld investierte sie in ein Schlankheitsmittel. Der erhoffte Gewinn bleibt aus und kurz darauf auch Youn-hos Mutter. Zurück lässt sie ihm die georderten Pakete und einen Schuldenberg. „Es sieht nicht gut aus, wenn deine Mutter in den Knast kommt“, bemerkt der Polizeiangestellte, der Seo-hees Betrugsanzeige an ihn weiterträgt. Er selbst stottere die Schulden seiner Mutter ab und nennt es „moralische Verantwortung übernehmen“. Kims resignativ Gegenwartsskizze findet eine bessere Definition: Choked. Die Luft ist dünn zwischen den rastlosen Charakteren, auf der vergeblichen Suche nach einem Weg aus der finanziellen Sackgasse. Dieser verzweifelte Wunsch rückt die untereinander abwechselnd von Antagonismus und Abhängigkeit getriebenen Protagonisten in psychologische Dichte. 

Hee-sus Zusammenbruch ist das überfällige Resultat unentrinnbaren Prestigedrucks. Der moralische und wirtschaftliche Fall der von Youn-ho und seiner Schwester entfremdeten Mutter lässt ihr persönliches Umfeld wie Dominosteine umstürzen. „Meine Mutter sagt, es ist egal was man tut, so lange man Essen auf den Tisch bringt“, sagt Youn-hos Verlobte. Ihre distinguierte Familie lebt in einem eleganten Apartmentblock, während die seine im heruntergekommenen Mietquartier der Tante bloß geduldet wird. Die engstirnigen Prinzipien beider Familien spiegeln einander. Er solle nicht über seine Verhältnisse leben, lautet der sarkastische Rat von Youn-hos Tante, die durch dessen klassenübergreifende Verlobung in ihrer finanziellen Machtposition innerhalb der Familie bedroht fühlt. Ebenso furchtsam wie sie hütet der Verlobten Mutter den Klassenrang ihres Kindes. Nett sein werde nicht geschätzt, sagt sie ihrem potentiellen Schwiegersohn beim formellen Essen, und Ehrlichkeit mache nicht reich.

Diesen Rationalismus verinnerlicht der erfolglos gegen die Schuldenlast ankämpfende Hauptcharakter, bis er für emotionale Bedürfnisse seiner Verlobten taub wird. In gleicher Weise versucht Seo-hee die Liebe ihrer Tochter zu erkaufen und wie die übrigen Protagonisten seelischen Hunger mit Essen zu stillen. Sie giere nach Süßigkeiten, gesteht Hee-su, wie ihr Gatte während seiner Armeezeit. Der Überlebenskampf ist Krieg geworden. Bis es reale Opfer gibt, ist es nur eine Frage der Zeit Die geteilte Angst vor dem Elend, dem stets greifbareren wirtschaftlichen Abgrund, eint die Figuren nicht, sie treibt sie auseinander. Schneidend kalt wie der Wind, der den durch Fallstricke von Materialismus und Pflicht aneinander gefesselten Figuren ins Gesicht weht, ist die Inszenierung des koreanischen Regisseurs und Drehbuchautors. Sein harsches Debüt pirscht sich klammheimlich heran, um nicht mehr loszulassen wie die materielle Schlinge, die den Figuren den Atem abschnürt. 

  • Beitragsbild © Berlinale