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Berlinale Berichte 2015 – 1

Berlinale Berichte 2015 – 1

Bei der 65. Berlinale wird alles anders! Serien im Festivalprogramm, Dokus im Wettbewerb – nur hier wird berichtet wie zur 64. Berlinale, genauso unerschrocken und unermüdlich.

Das mit „unerschrocken und unermüdlich“ ist übrigens nur so ein Spruch. Schon jetzt fühle ich mich leicht schläfrig beim Gedanken an Terrence Malick, der bei der 49. Berlinale den Goldenen Bären gewann und sein jüngstes Werk Knight of Cups in den Wettbewerb bringt. Malicks Filme haben mitunter etwas Einlullendes, was nicht zwangsläufig ein cineastischer Makel sein muss (Kubricks Barry Lyndon macht todmüde). Aber läuft ein Film mit epischer Handlung und elegischer Musik in der Frühschiene, die im vergangenen Jahr noch früher ansetzte, ist das allein physisch schon eine Herausforderung. Das gleiche gilt aus anderen Gründen für die Premiere von 50 Shades of Grey. Der voraussichtliche Publikumsmagnet erhält nur eine Vorführung, was passend zum Handlungsinhalt voraussichtlich für ruppigen Körperkontakt in Form von Drängelei sorgt. Nimbus vor Niveau ist das Motto von Berlinale-Leiter Dieter Kosslick, der mindestens bis 2019 das Festival mit kuriosen Wortkapriolen anpreisen wird.

Berlin ist Weltstadt, Deutsch so hip wie noch nie nach 1945, da muss man sowieso keine anderen Sprachen mehr können, jedenfalls nicht als (Berlinale)Chef, scheint die Haltung. Kosslick sah letztes einen Film, wo „the Nazis fly“. Das klingt nach Iron Sky, gemeint war aber The Monuments Men. Sprachunterricht nehmen könnte Kosslick bei Wim Wenders, der im Rahmen der Hommage den Goldenen Ehrenbären erhält. Gelegenheit, ein paar der alten Wenders-Filme auf der großen Leinwand nachzuholen. Der ganz großen Leinwand des Berlinale-Palasts. Dorthin bringen dieses Mal Werner Herzog, Jafar Panahi, Isabelle Coixet, Peter Greenaway und 19 andere Künstler das, was die Berlinale nach wie vor so außergewöhnlich macht: Kino zum Entdecken.

Chorus – Panorama

Zeit heilt nicht“, sagt Irene (Fanny Mallette), „Umso mehr Jahre vergehen, umso mehr ist es innerlich präsent.“ Die alternde Chorsängerin kennt das Gewicht ihrer Worte und wählt sie mit Bedacht. Zehn Jahre sind es, seit Hugo nicht mehr da ist. Erst Hugo, dann Christoph. Christoph (Sebastien Ricard) war Irenes Partner, Hugo war ihr gemeinsamer Sohn. Der kleine Junge ist verschwunden, vermutlich tot.

Die Beziehung seiner Eltern ist an der Tragödie zerbrochen, mehr noch, sie sind es selbst. Irene macht sich darüber keine Illusionen, hat es nie: „Trauern macht den Leuten Angst. Sie meiden dich wie die Pest oder stellen sich dumm.“ Welche Reaktionen angemessen wären, wer kann das sagen? Nicht ihre Mutter (Genevieve Bujold), zu der Irene ein ebenso distanziertes Verhältnis hat wie Christophe zu seinem alten Vater (Pierre Curzi). Womöglich nicht einmal die Betroffenen selbst, Irene, die im kühlen Montreal weiter ihr trostloses altes Leben lebt, noch Christophe, der sich in Mexiko mit Gelegenheitsjobs durchschlägt und vergeblich versucht, die Vergangenheit zu verdrängen. DieNachricht über das Auffinden des Leichnams ihres Sohnes führt beide wieder zusammen, nicht als Paar, sondern als Verlorenen, die im Schmerz des anderen den eigenen wiedererkennen. Chorus beginnt mit einem Geständnis des Mörders Jean-Pierre Blake (Luc Senay), der für andere Missbrauchsdelikte im Gefängnis sitzt. Warum er plötzlich spricht, weiß nur er allein. Hätte er damals gestanden, hätten Irenen und Christoph damals gewusst, was ihrem Kind geschehen ist, vielleicht hätten sie mit dem Verlust abschließen können. Regisseur und Drehbuchautor Francois Delisle gab sein Berlinale-Debüt vor zwei Jahren im Forum mit seinem ähnlich konzentrierten Drama The Meteor. Auch dessen Erzählung beschäftigte sich mit den psychischen Konsequenzen eines Mordes. Damals waren es der Täter und dessen Angehörige, auf die sich das eindringliche Kameraauge richtete. Nun gilt seine Aufmerksamkeit der Familie des Opfers – in einem bewegenden Porträt, das des Wettbewerbs würdig ist.

  • OT: Chorus
  • Regie: Francois Delisle
  • Drehbuch: Francois Delisle
  • Produktionsland: Kanada
  • Jahr: 2015
  • Laufzeit: 97 min.

Androids Dream (Suenan los androides) – Forum

Was wie eine Feststellung klingt, hallt nach als Teil einer Frage: Do Androids Dream of Electric sheep? Die Pressevorführungen beginnen reizvoll mit der Evokation von Philip K. Dicks Science-Fiction-Märchen. Dessen Filmadaption ist für sich ein Meisterwerk: die düstere Vision einer Zukunft, die immer näher zu rücken scheint und trotz ihres bitteren Gesellschaftsbilds bizarre Anziehungskraft ausübt. In einer emotionale Kälte und Kalkulation verströmenden Stadtlandschaft haben hochentwickelte Androiden die unangenehmen Arbeiten für die Menschen übernommen. Bis auf einen Job, der einer der unangenehmsten ist: das Eliminieren jener Modelle, die sich ihrer Vorprogrammierung widersetzen und einen eigenen Willen entwickeln.

Ein desillusionierter Kopfgeldjäger schießt sich durch die Handlung mit dem Auftrag, die allzu menschlichen der äußerlich von Menschen nicht zu unterscheidenden Maschinen zu beseitigen. Seine Suche wird zu der nach den Anfängen des Bewusstseins und des Ichs. Es ist eine brillante Verfilmung, die durch Anspielungen tiefgreifende Fragen aufwirft, nicht nur über die Charaktere, sondern das eigene Sein. Leider ist Ion de Sosas Beitrag nicht dieser Film. Dieser Film ist Ridley Scotts Blade Runner. Androids Dream gelingt lediglich ein optisch und inhaltlich ausgelaugter Abzug der Vorlage. Obwohl nur eine Stunde lang, wird Dicks schillernde Story zum schleppenden Weg durch eine halb abgerissene spanische Touristenhochburg. Eine Titelkarte verkündet, man schreibe das Jahr 2052, doch ebenso gut könnte die verzerrte Handlung in der Gegenwart spielen oder aber der Vergangenheit. Momentaufnahmen wie aus einem vergilbten Urlaubsprospekt, ein paar markante Gesichter, aufdringliche Symbole statt geschickter Andeutungen – mehr hat die karge Parabel nicht zu bieten, um die cineastische Leere zu füllen. Do movie critics dream? Ja, von Filmen so spannend wie Blade Runner, wenn sie bei langweiligen wie de Sosas einschlafen.

  • OT: Suenan los androides
  • Regie: Ion de Sosa
  • Drehbuch:
  • Produktionsland: Spanien, Deutschland
  • Jahr: 2014
  • Laufzeit: 61 min.

Beitragsbilder © Berlinale

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