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Berlinale ‘23 Competition: “Ingeborg Bachmann – Journey into the Desert”

Berlinale ‘23 Competition: “Ingeborg Bachmann – Journey into the Desert”

Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar. Jener Titel der auf der Leinwand rezitierten Dankesrede der Titelfigur zählt zu den bekanntesten jener minimalistischen Maxime, die Ingeborg Bachmann (Vicky Krieps) heute genauso relevant machen wie vor sechzig Jahren. Es sind diese glanzvollen Jahre der österreichischen Schriftstellerin, die durch ihre Gedichte als einzige Frau in einer chauvinistischen Kulturszene Anerkennung gewann, mit deren fiktiver Interpretation Margarethe von Trotta über vierzig Jahre nach Heller Wahn in den Berlinale Wettbewerb zurückkehrt. 

Der doppeldeutige Fingerzeig auf zumutbare Wahrheiten bezieht sich nicht nur auf die gesellschaftlichen, kulturbetrieblichen und zwischenmenschlichen Konventionen, gegen die Bachmann mit ihrer Ungebundenheit und literarischen Luzidität aufbegehrt. Implizit interpretiert die Regisseurin auch die Handlung ihres selbstverfassten Drehbuchs als eine biografische Wahrheit, die das Publikum hinnehmen muss. Das fällt schwer; gerade weil die Darstellung filmische Klischees modifiziert statt eliminiert. Die Hauptfigur vermittelt wenig von Bachmanns sublimierter Sachlichkeit, sondern ist so adrett und akkurat wie die Optik. 

Sie ist Muse sie umschwirrender Männer, auch wenn ihr Ruhm den der Zeitgenossen überstrahlt. Sie hungert nach Liebe, Leben und Leidenschaft. Doch die existieren nicht im amourösen Arrangement mit dem spießigen Max Frisch (Ronald Zehrfeld), der ihr Jahre später großkotzig ihre eigenen Zitate wiederkäut und indirekt die Schuld an beider gescheiterten Beziehung gibt. Dass Bachmanns Unwillen und Unfähigkeit, sich konservativen Partnerschafts- und Gender-Normen zu unterwerfen, als Mangel gilt, verrät die verkappte Konformität des bürgerlichen Biopics. 

Sobald Vicky Krieps in einer weiteren hervorragenden Darstellung aus dem zeitlosen Werk der titelgebenden Autorin zitiert, offenbart sich noch mehr die dramaturgische Diskrepanz zu Margarethe von Trottas Paar-Porträt. Dem fehlt nicht nur die philosophische Prägnanz der Titelfigur. Sie wird nach Vorbild so vieler Frauenbiografien auf ihre Liebschaften reduziert. Die Konventionen eines biedermeierlichen Beziehungsdramas ersticken das blasse Biopic, das Emanzipation und weibliche Regellion nur in den sexuellen Stereotypen kolonialistischer und heterosexueller Hegemonie denkt und darstellt.

  • OT: Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste
  • Director: Margarethe von Trotta
  • Screenplay: Margarethe von Trotta
  • Country: Germany 
  • Year: 2023
  • Running Time: 110 min. 
  • Cast: Vicky Krieps, Ronald Zehrfeld, Tobias Samuel Resch, Basil Eidenbenz, Luna Wedler, Marc Limpach, Renato Carpentieri, Katharina Schmalenberg, Nickel Bösenberg, Philip Leonhard Kelz, Joseph Stoisits, Bernd Hölscher, Stefano Bernardin, Roberta Malizia, Martin Vischer, Thomas Wachtler
  • Release date: –
  • Image © Match factory
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