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Berlinale ‘23 Panorama: “Sira”

Berlinale ‘23 Panorama: “Sira”

Auf den ersten Blick wirkt Apolline Traorés in scharfgestochenen Hochglanz-Bildern eingefangenes Wüstendrama wie ein klassisches Rape-and-Revenge-Movie, dem die frische Perspektive und das ungewöhnliche Setting einen spannenden Twist verleihen. Doch die routiniert inszenierte Rache-Story will zugleich mehr und weniger sein als ein gelungener Genrefilm – und verkennt gerade dadurch das vielschichtige Potenzial ihres Szenarios. Jenes ist wie geschaffen für eine feministische Fabel, deren universeller Unterhaltungswert ein distanziertes Publikumssegment erreichen könnte. Doch dieses Konzept wird ins Gegenteil verkehrt.

Hinter der Prämisse einer von starken Frauenfiguren gelenkten Story, die ultratraditionelle Rollenbilder hinterfragt, verbirgt sich eine Handlung, die konservative Narrative bestätigt und diese augenscheinlich einem progressiven Publikum nahebringen will. Die bedenklichen Implikationen beschenken sich nicht auf archaische Gender-Konzepte, die indirekt idealisiert und normalisiert werden. Plünderung, Mord und sexuelle Gewalt, die Fulani-Nomadin Sira (Nafisatou Cisse) auf der Reise zu ihrem christlichen Verlobten erlebt, werden mit Fortschritt und Moderne verbunden. Das Stammesleben indes scheint harmonisch und tolerant.

Sogar zu tolerant, denn der einzige queere Charakter aus dem Stamm Siras Vaters entpuppt sich perverser Verräter. Er ist der Übelste der Terroristen, deren Anführer (Lazare Minoungou) Sira verschleppt und in der Wüste aussetzt. Doch Sira sinnt schwanger fast ohne Verpflegung monatelang nahe des Terroristencamps in einer Höhle der Rache. Die kommt für die trotz Strapazen wohlgenährten und attraktiven Heldin allerdings nur mit und dank männlicher Unterstützung, nachdem malträtierte Frauenkörper ausgiebige zur Schau gestellt wurden.

Die Verklärung fundamentalen Glaubens und christlicher Religion geht in Apolline Traorés Rache-Thriller Hand in Hand mit einer Reihe problematischer Narrative. So setzt die technisch tadellose Inszenierung Queerness mit sadistischer Verkommenheit gleich, bagatellisiert patriarchalischen Traditionalismus, dämonisiert technischen Fortschritt und zeigt Frauen als ahnungs- und hilflos, solange Männer ihnen nicht beistehen. Nafisatou Cisses markantes Schauspiel lässt die voyeuristische Vorführung sexueller Gewalt umso unangenehmer wirken. Die handwerkliche Kompetenz steht in traurigem Kontrast zum ebenso realitätsfernen wie spekulativen Inhalt.

  • OT: Sira
  • Director: Apolline Traoré
  • Screenplay: Apolline Traoré
  • Country: Burkina Faso, Senegal, France, Germany 
  • Year: 2023
  • Running Time: 122 min. 
  • Cast: Nafisatou Cisse, Mike Danon, Lazare Minoungou, Abdramane Barry, Ruth Werner, Ildevert Meda, Nathalie Vairac, Oumou Ba, Seydou Diallo, Augusta Palenfo, Landy Noura Gala, Kétoura Simpore, Naomie Nemlin, Leila Tall
  • Release date: –
  • Image © Les Films Selmon
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