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“Where is Anne Frank?” Not here, for sure.

“Where is Anne Frank?” Not here, for sure.

Es hätte kein Jahr der Kunstanschläge elitärer Selbstdarsteller gebraucht und auch nicht die Verwüstung der Kulturgüter in Brasiliens Präsidentenpalast durch rechtsradikale Bolsonaristas, um zu wissen, dass die Zerstörung von Kunstschätzen kein akzeptables politisches Druckmittel ist, sondern eine gefährliche Mischung und aus antiintelektueller Ignoranz und Arroganz. Es genügt die rudimentärste Geschichtskenntnis, um zu wissen, dass Bücherverbrennungen niemals heldenhaft sind – am wenigstens in einer Holocaust-Geschichte wie Ari Folmans animierter Adaption seiner mit David Polonsky verfassten Graphic Novel. 

Letzte beschränkt sich auf die Illustration des weltbekannten Tagebuchs, das Anne im Amsterdamer Versteck in Form von Briefen an ihre imaginäre Freundin Kitty (Stimme: Ruby Stokes). Sie und nicht ihre reale Erfinderin steht im Mittelpunkt der unebenen Mischung aus Action, Amateurkrimi und Allegorie, deren hoch erhobener moralischer Zeigefinger in Kontrast zum Mangel an historischem Bewusstsein und Sensibilität steht. Annes Verfolgung und Ermordung geraten zum pädagogischen Prestigeelement eines generischen Großstadtabenteuers inklusive Autoverfolgungsjagd, Polizeiflucht und heteronormativer Romanze.

Dass die in Annes Tagebuch ausgedrückte Sehnsucht nach einer romantischen Freundin durch Kittys Liebelei mit einem Ersatz-Peter (Ralph Prosser) überschrieben wird, enthüllt jene Doppelmoral, die der Regisseur und Drehbuchautor dem Publikum gegenüber Geflüchteten vorwirft. In gleicher Manier kritisiert Folman die Benennung von Institutionen und Orten nach Anne Frank als Vereinnahmung innerhalb eines Prestige-Projekts, dessen Bezüge zu Anne Frank über holprige Dramaturgie, blasse Figuren und gekünstelte Dialoge hinwegtäuschen soll während das Interesse an Flüchtlingsschicksalen Behauptung bleibt. 

Um die Titelfrage zu beantworten: hier nicht. Ari Folmans dritter Kinospielfilm reduziert Anne Frank – Mittelpunkt seiner wesentlich gelungeneren Comic-Vorlage – zur blassen Randfigur der adrett, aber wenig originellen Animationen. Ihr Tagebuch und Schicksal geraten zum reinen McGuffin. Dessen Entwendung initiiert einen in der Gegenwart angelegten Fantasy-Abenteuers, dessen moralische Maßstäbe widersprüchlich bis zweifelhaft erscheinen und Sensibilität für den historischen Kontext vermissen lassen. Die ethische Dissonanz spiegeln auf dramaturgischer Ebene mangelhafte Charakterisierung, narrative Lücken und eine unebene Atmosphäre.

  • OT: Where is Anne Frank?
  • Director: Ari Folman
  • Screenplay: Ari Folman
  • Country: Belgium, Luxembourg, France, Netherlands, Israel
  • Year: 2021
  • Running Time: 99 min. 
  • Cast: Emily Carey, Michael Maloney, Sebastian Croft, Ruby Stokes, Skye Bennett, Ari Folman, Nell Barlow, Ralph Prosser, Mike Tehrani
  • Release date: 23.02.2023
  • Image © Farbfilm
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