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“EO” gazes at a cruel, cold world through donkey eyes

“EO” gazes at a cruel, cold world through donkey eyes

Einer der weniger philosophischen Gedanken, den Jerzy Skolimowskis feinfühlige Fabel anregt, ist, wie viel existenzialistische Bedeutsamkeit in der herzzerreißenden Handlung steckt und wie viel nur Publikumsprojektion ist. Doch statt der Frage nach der Substanz ihrer mäandernden Metapher auszuweichen, rücken der polnische Regisseur und seine Co-Drehbuchautorin Ewa Piaskowskas sie immer wieder ins Zentrum einer einfühlsamen Erkundung des Fühlens und Erlebens eines Lasttiers. Dessen lautmalerischer Name wird zum titelgebenden Synonym des beschränkten menschlichen Verständnisses unendlicher verschlungener Lebenswege.

Im Grunde erfassen die junge Zirkuskünstlerin Kasandra (Sandra Drzymalska), die mit fürsorglicher Zuneigung an ihrem vierbeinigen Showpartner Eo hängt, die Tierschützer, die den gutmütigen Esel aus dem bankrotten Zirkusbetrieb vermeintlich retten, die Leitung des Therapiehofs, der ihn als Reittier für Kinder einsetzt, die frustrierten Fußballfans, die ihn fast totschlagen, und der Lastwagenfahrer, der Eo einem scheinbar gewissen Schicksal zuführt, die Zufälle und äußeren Einflüsse, die ihre Laufbahn verändern und Entscheidungsmacht untergraben, genauso wenig wie Eo. 

Die Grenzen individueller Autonomie, die fundamentalen Auswirkungen gleichgültiger Handlungen auf Unbeteiligte, der fließende Übergang zwischen Gut und Böse und die Unbeständigkeit scheinbar statischer Zustände im Guten wie im Schlechten sind die bestimmenden Themen der in ihrer formellen Schlichtheit bestechend ausdrucksstarken Handlung. Experimentelle Einschübe akzentuieren immer wieder Eos subjektiven Blick auf die naturalistischen Episoden. Darin sind Erleben und Erlebnisse der wortlosen Kreaturen weit überzeugender inszeniert als die menschlichen Figuren, die blind sind für Eos stilles Drama.

Angelehnt an Robert Bressons Au hasard Balthazar verwebt Jerzy Skolimowski Tiefsinn, Trivialität und Träumerei zu einer tragikomischen Tiergeschichte, die ohne fehlgeleitete Vermenschlichung um Mitgefühl und Respekt für nichtmenschliche Individuen wie den Titelcharakter wirbt. Dank symbolstarker Kamerabilder und eindrucksvoller Tierarbeit berührt die Odyssee Esel Eos, die von einem polnischen Wanderzirkus bis in ein italienisches Adelsanwesen führt, zugleich als tierische Tragödie von melancholischer Märchenhaftigkeit und universelle Parabel, durchzogen von dezenter Kritik an Religion, Umweltzerstörung und politischer Radikalisierung. 

  • OT: EO
  • Director: Jerzy Skolimowski
  • Screenplay: Jerzy Skolimowski, Ewa Piaskowska
  • Country: Italy, Poland
  • Year: 2022
  • Running Time: 86 min. 
  • Cast: Sandra Drzymalska, Isabelle Huppert, Lorenzo Zurzolo, Mateusz Kosciukiewicz, Tomasz Organek, Lolita Chammah, Agata Sasinowska, Anna Rokita, Michal Przybyslawski, Gloria Iradukunda, Piotr Szaja, Sylwia Klan, Delfina Wilkonska, Andrzej Szeremeta, Wojciech Andrzejuk, Mateusz Muranski
  • Release date: 22.12.2022
  • Image © Rapid Eye Movies
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