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“Caged Birds” turns its contrarian characters into chauvinist clichés

“Caged Birds” turns its contrarian characters into chauvinist clichés

Gleich des realen Pendants seines Titelcharakters betrachtet Oliver Rihs die Schweizer Jugendproteste der 80er-Jahre als bloßen Katalysator eigener Prominenz und Ziele. Zweite sind alles andere als revolutionär in ihrer Stilisierung weißer cis-männlicher Aggression zum antibürgerlichen Popanz eines Establishments, das tatsächlich auf eben jener toxischen Männlichkeit fundiert. Die Strukturen systemischer Repression ignoriert der unausgegorene Mix aus Gaunerromanze und Anwaltsdrama so geflissentlich wie das gesellschaftliche Klima, gegen das die für triviale Moralbotschaften instrumentalisierten Charaktere aufbegehren.

Diese Oberflächlichkeit torpediert jede Identifikation mit den historischen Hauptfiguren. Anarcho-Anwältin Barbara Hug (Marie Leuenberger) und Ausbrecherkönig Walter Stürm (Joel Basman) reduziert das Autoren-Quartett auf spekulierte sexuelle Anziehung, die Hugs durch Ärztepfusch verschuldete körperliche Einschränkungen verhindern. Ein Verhältnis trotz Handicap schließt die Handlung kategorisch aus und noch mehr jede Berechtigung Hugs Skepsis gegenüber einer ihr angedienten Nierentransplantation. Selbige präsentiert die paternalistische Inszenierung als Weg in eine „Normalität“, den sie aus Angst vor Freiheit ablehnt.

Krankheit erscheint als verweigerte Genesung und Ausdruck asozialen Egoismus. Dieser bedrückend den Zeitgeist bedienende Ableismus ist Teil des Sexismus, mit dem Hugs juristische Verdienste reduziert werden. Nebenfiguren wie der infantile Punk Heike (Jella Haase) und die lesbische RAF-Anwältin Spengler (Bibiana Beglau) diskreditieren politische Aktivistinnen und implizit die revolutionäre Bewegung. Deren Verteidiger*innen repräsentieren Hugs Kollegen als prinzipienlose Opportunisten, die Stürm für ihre Zwecke ausnutzen. Wen interessiert schon, dass es in der Realität andersherum war?

Die Jugendbewegung und Menschenrechtsverletzungen im Strafvollzug der vermeintlich liberalen Schweiz sind ebenso spannende wie vernachlässigte Themenkomplexe, mittels derer Oliver Rihs verfahrener Krimi eine Lektion in Reaktionismus referiert. Prägnante Persönlichkeiten schrumpfen zu blassen Wiedergängern fiktionaler Vorbilder, während der Gegenwartsbezug bewusst minimiert wird. Das fähige Ensemble kämpft mit einem im bürgerlichen Konservativismus verankerten Plot, der die Kernkonflikte des historischen Materials verkennt. Mit chauvinistischen Stereotypen wird gegen zivilen Ungehorsam als politisches Protestmittel argumentiert – zugunsten revisionistischer Ideale allumfassender Bürgerpflicht.

  • OT: Stürm: Bis wir tot sind oder frei
  • Regie: Oliver Rihs
  • Drehbuch: Oliver Keidel, Oliver Rihs, Norbert MaassIvan Madeo, Dave Tucker
  • Produktionsland: Switzerland
  • Jahr: 2020
  • Laufzeit: 118 min. 
  • Cast: Joel Basman, Anatole Taubman, Jella Haase, Marie Leuenberger, Bibiana Beglau, Beat Marti, Philippe Graber, Pascal Ulli, Martina Schöne-Radunski, Michael Schertenleib, Christian Weber
  • Kinostart: 13.01.2022
  • Image © Port aus Prince Pictures
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