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Berlinale ’21 Wettbewerb: Penologic iniquity & patriarchal incapacitation intertwine in “Ballad of a White Cow”

Berlinale ’21 Wettbewerb: Penologic iniquity & patriarchal incapacitation intertwine in “Ballad of a White Cow”

Fast scheint die Aufnahme der symbolistisch durchbrochenen Kontemplation über die sozialpsychologischen Auswirkungen der Todesstrafe in den Berlinale Wettbewerb ein verhaltener Wink zum im Iran unter Hausarrest stehenden Jury-Mitglied Mohammad Rasoulof. Dessen mit dem Goldenen Bären ausgezeichnetes Episodendrama There is No Evil behandelte letztes Jahr das Thema in nicht nur stilistisch ähnlicher Manier. Das kühle Figurendrama Behtash Sanaeehas und der zusätzlich in der Hauptrolle auftretenden Maryam Moghaddam zeigt eine perspektivische Umkehr einer der drei Konstellationen.

Auch ohne Kenntnis des filmischen Vorbilds erschließt sich rasch die Verbindung der von Trauer verfolgten Witwe des wie sich herausstellt zu Unrecht hingerichteten Babak und Reza (Alireza Sanifar), der sich als dessen Freund mit unbezahlten Schulden vorstellt. Als Alleinstehende Frau ohne männliche Repräsentationsfigur droht Mina im misogynen iranischen Gesellschaftssystem der Verlust ihrer Existenz und des Sorgerechts für die kleine Tochter Bita (Avin Purraoufi). Mehr aus Not denn Vertrauen akzeptiert sie finanzielle und juristische Unterstützung Rezas.

Ihn erwartet eine eigene Tragödie, in deren Folge sich die Rollen der Fürsorge umkehren. Der glückliche Ausgang, auf den die konzentrierte Handlung zuzusteuern scheint, wäre indes sowohl überkonstruiert als auch indirekter Konsens mit dem Justizapparat, dessen Fehlbarkeit das Regie-Duo ebenso unbeirrbar anprangert wie die Protagonistin. Geschickt verwebt der Plot entschlossene Systemkritik mit einer alarmierenden Darstellung patriarchalischer Entmündigung. Mina ist hilflos in einer Gesellschaft, die Frauen keinen Handlungsraum lässt und selbst die unverfänglichste Männerbegegnung skandalisiert.

Dramaturgische und narrative Parallelen zum Bären-Gewinner 2020 mindern nicht die dramatische Wirkung des Plädoyers, in dem Maryam Moghaddam auf darstellerischer und inszenatorischer Ebene glänzt. Anspielungsreiche Details, die auf den ersten Blick nur bissige Pointen scheinen, akkumulieren sich im Hintergrund zu sozialpolitischen Metaphern von überraschender Deutlichkeit. Anders als der männliche Hauptcharakter lehnen es die Filmschaffenden ab, ihre Werte zum eigenen Vorteil zu kompromittieren. Die Mahnung, dass Konsens Mitschuld impliziert, ist auch hierzulande gültiger denn je.

  • OT: Ghasideyeh gave sefid
  • Regie: Behtash Sanaeeha, Maryam Moghaddam
  • Drehbuch: Behtash Sanaeeha, Maryam Moghaddam, Mehrdad Kouroshnia
  • Produktionsland: Iran, France
  • Jahr: 2021
  • Laufzeit: 105 min. 
  • Cast: Maryam Moqadam, Alireza Sani Far, Pouria Rahimi Sam, David Francis Harris, Farid Ghobadi, Lili Farhadpour, Mohammad Heidari
  • Kinostart: –
  • Beitragsbild © Berlinale
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