#movie #review #cinema #critic #film #festival #podcast

Berlinale ’20 Special: “My Salinger Year” opens festival with sentimental denial of literature’s sexism

Berlinale ’20 Special: “My Salinger Year” opens festival with sentimental denial of literature’s sexism

Phony war J.D. Salingers Lieblingswort. Wie passend, dass Philippe Falardeaus filmische Verklärung einer Ära, einer Stadt, einer idealisierten mit ihr assoziierten Lebensart, eines Autors und seiner Sekretärin von dieser Eigenschaft durchdrungen ist. Alles in der süßlichen Romanze ist verlogen: die eindimensionalen Figuren, ihre vorgeblich tiefgründigen Gefühle für zweifelsohne aus tiefster Seele verfasste Bücher, ihre hehren Aspiration. Jede_r will der Welt ein aufrichtiges Werk schenken oder zumindest einen kanonisierten Klassiker wie den des Titelautors.

J.D. Salinger (Tim Post), der Jugendliche, vorzugsweise minderjährige Mädchen mit dem Spruch „Ich bin J.D. Salinger und habe ‚Der Fänger im Roggen’ geschrieben“ aufriss, ist hier nicht mehr der vom Überraschungserfolg von überbewertetem Pennälern-Pulp zehrende, sektenaffine Misanthrop, sondern väterlicher Mentor. Er führt Provinz-Poetin Joanna (Margaret Qualley) auf den vorbestimmten Autorenweg, von dem Chefin Margaret (Lichtblick: Sigourney Weaver) sie abzubringen droht. Gegenüber männlichem Genie existieren Frauen nur als Steigbügelhalterin oder ehrfürchtige Adeptin.

Aber Salinger ist einer jener Schriftsteller, die der sentimentale Plot als von instinktivem Verständnis für Frauenkonflikte beseelt beschreibt, und antizipiert den festgeschriebenen Erfolg der Protagonisten. Die ist natürlich Rakoff. Auf der Presskonferenz des Berlinale Eröffnungsfilms strickt sie fleißig am Mythos ihres Happy Ends, das so heuchlerisch wirkt wie die verkitschte Szenerien der vermeintlich persönlichen Memoiren. Es gibt sie noch: Filme, die pathetisch auf die Leitfunktion der telefonischen und literarischen Stimmen eines überholten chauvinistischen Kanons pochen.

Vor der goldschimmernden Kulisse eines 90er Jahre Boheme-New Yorks, dessen von jeglichen Geldsorgen befreite, aufstrebende „arme“ (Literatur)Liebende ihre ersten Erfolge zwischen Büchercafés, Gedichtlesungen und renommierten Literaturagenturen verfassen, verbrämt Philippe Falardeau mit der Vorlagen-Autorin und Heldin seiner Romanadaption auch den für sein übergriffiges Verhalten berüchtigten Verfasser verstaubter Schulpflichtlektüre. Selbst Sigourney Weavers nuancierte Darstellung rettet nicht die weltfremde Schmonzette. Deren Herzenswärme kaschiert triefenden Zynismus, der den strukturellen Sexismus in Literatur und Verlagswesen systematisch negiert.

  • OT: My Salinger Year
  • Regie: Philippe Falardeau
  • Drehbuch: Philippe Falardeau, Joanna Smith Rakoff
  • Produktionsland: Canada, Ireland
  • Jahr: 2020
  • Laufzeit: 101 min. 
  • Cast: Margaret Qualley, Sigourney Weaver, Douglas Booth, Seána Kerslake, Jonathan Dubsky, Colm Feore, Leni Parker, Yanic Truesdale, Xiao Sun, Gavin Drea, Théodore Pellerin, Romane Denis, Matt Holland, Brían F. O’Byrne, Hamza Haq, Elana Dunkelman
  • Beitragsbild © Berlinale 
This piece first appeared …