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“Ein Sommer in der Provence” geht Fans provinzieller Bigotterie runter wie Jean Renos Olivenöl

“Ein Sommer in der Provence” geht Fans provinzieller Bigotterie runter wie Jean Renos Olivenöl

Man gewöhne sich an alles, lehrt die zweite Zusammenarbeit von Rose Bosch und Hauptdarsteller Jean Reno: „In Afrika ist man ja auch an AIDS gewöhnt und in Syrien an Bomben.“ Großväter gewöhnen sich an ihre Enkel, Stadtgören ans Landleben, Kinder an ihre Eltern. Wie die wertkonservative Provinzkomödie dies vermittelt, ist ebenfalls reichlich gewöhnungsbedürftig. 

Streckenweise wirkt die vorhersehbare Story wie ein Werbespot für Reno, genauer: sein Olivenöl. Ein solcher von Händen der amerikanischen Regisseurin und Drehbuchautorin wäre sicher unterhaltsamer gewesen als die Dramödie um Paul (Jean Reno), der sich im Schatten idyllischer Haine mit seiner Verwandtschaft und Vergangenheit anfreundet. Ohne Paul ein Wort zu sagen nimmt die patente Großmutter Iréne (Anna Galiena) die Enkelkinder nach der Scheidung der Eltern zu sich aufs Land. Die 15-jährige Léa (Chloé Jouannet)  ist die trotzige Teenagertochter, ihr großer Bruder Adrien (Hugo Dessioux) der notgeile Aufreißer, der sich durch seine Provinzeroberungen als toller Hecht beweist, und das taubstumme Nesthäckchen Theo (Lukas Pelissier) macht auf Der Kleine Lord. Bis Opa dem Trio den rechten Weg gewiesen und sich dazu mit der entfremdeten Tochter ausgesöhnt hat, gibt es Lokalkolorit und Landschaftspanoramen reif für einen Touristen-Prospekt: Pferderitten am Meer, Sonnenuntergänge und nicht zu vergessen Pauls Olivenhaine. 

Womöglich war die Inszenierung Renos als Landmann mit rauem Charme das, was den französischen Star zum Mitwirken bewegte. Während der Pressevorführung raunte eine Kollegin mir zu: „Ich habe noch kein Interview mit ihm gehabt, in dem er nicht über seine Olivenhaine geredet hätte!“ Ich habe „jean reno interview“ gegoogelt. Offenbar steht sie mit ihrer Erfahrung nicht allein da. Im Geist sehe ich sie an einem Tisch voller Probierschälchen und Baguette, während Reno ihre Frage nach den Charakteren abwürgt: „Die Aromenexplosion der Kaltpressung vom Südwesthang…“ Vielleicht gewöhnt man sich auch irgendwann an unergiebige Interviews. Dass Paul das flüssige Gold verehrt, heißt übrigens nicht, er wäre einer von diesen alternativen Öko-Typen! Zwar waren Irene und er früher coole Hippies, die mit alten Weggefährten am Lagerfeuer Knocking on Heaven’s Door und Forever Young schrammeln, aber das war’s dann mit liberaler Weltoffenheit. Als Lea den Pizzabäcker knutscht, rast Paul mit der Flinte los, um Enkeltöchterchens Ehre zu retten. Ironie? Nein, das Lehrstück nimmt sich mitsamt Bigotterie und Patriarchalismus bitterernst. Keine guteVoraussetzung für eine Komödie, die einen freien Rücken und Dreads bei jungen Mädchen mit Beinah-Vergewaltigung bestraft, während Adriens plumper Sexismus für witzig gilt und mit Aussichten auf die Dorfschönheit belohnt wird. 

Bosch, die alle, die von ihrem Historienmelodram Die Kinder von Paris nicht zu Tränen gerührt waren, mit Hitler verglich, hat für Differenzierung keine Stärke. Die liegt im Schwingen des Vorschlaghammers. Tradition, Machismo und Brutalität sind am schönsten vereint, etwa in einem festlichen Stiertreiben: „Wie in Pamplona?“ Ja, wie in Pamplona. Die Live-Schlachtfeier soll der Kinozuschauer wie die Protagonisten später den Stierkampf beklatschen. Als Theo einmal beim Anblick von Osso Buco zögert, weil das Rind ihm Leid tut, moniert Paul, nur böse Tiere landeten im Kochtopf. Lea legt schnell mit ihren Piercings ihre Ideen von Bio-Lebensmitteln, regionalen Anbietern und Vegetarismus ab. Man isst Paella aus Riesenpfannen wie in Villariba und Villabajo, vermutlich gebraten mit Renos Qualitätspressung.  Wer über das ganze Rinderschlachten Appetit bekommen hat, kriegt das in einem hochpreisigen Onlineshop, zusammen mit Osso Buco und Foie Gras. Letztes ist noch so eine altväterliche Tradition, wie der im übelsten Sinne provinzielle Chauvinismus auf der Leinwand. Mancher lässt sich dergleichen, ist es nur adrett angerichtet, schmackhaft machen. Anderen wird davon schlecht. 

  • OT: Avis de mistral
  • Regie: Rose Bosch
  • Drehbuch: Rose Bosch
  • Produktionsland: Frankreich, 
  • Jahr: 2014
  • Laufzeit: 104 min. 
  • Cast: Jean Reno, Anna Galiena, Chloé Jouannet, Hugo Dessioux, Aure Atika, Lukas Pelissier, Tom Leeb, Jean-Michel Noirey, Hugues Aufray, Charlotte de Turckheim, Raphaëlle Agogué, Jérôme Care Aulanie, Franck Crouzet, Michel Drucker, Rodolphe Saulnier
  • Kinostart: 25.09.2014
  • Beitragsbild © Concorde
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