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Siegerlächeln: Berlinale Kritik zu “Victory Day”

Siegerlächeln: Berlinale Kritik zu “Victory Day”

Bald ist es wieder soweit. Dann strömen sie in den Treptower Park. Im Gepäck haben sie Tupper-Dosen mit Essen, Thermoskannen und oft die Kinder. Einige kommen in Kostümen, andere haben sich schick gemacht. Das muss natürlich festgehalten werden. Viele knipsen mit dem Handy, noch mehr haben Fotoapparate dabei, manche sogar Kameras. Einer von letzten ist Sergei Loznitsa. Der ukrainische Regisseur ist 2017 hierher gekommen, wie er zwei Jahre zuvor nach Austerlitz kam. Seine gleichnamige Dokumentation brachte ihm viel Aufmerksamkeit und Renommee. Was läge näher, als die gleiche Methodik ein zweites Mal auf einen anderen geschichtsträchtigen Ort anzuwenden? Never change a running system. Der Ort ist das Sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Treptow, die Methodik der totale Verzicht auf Einordnung, Übersetzung und Kommentar.

Leicht machen will es Loznitsa dem Kinopublikum nicht. Falls die Leute Informationen wollen, sollen sie sich gefälligst selber welche verschaffen! Zum Teil übernimmt diese Arbeit der Verleih, der in der Synopse erklärt, dass die Menschen alljährlich am 9. Mai zu der kolossalen Gedenkstätte pilgern, um Blumen abzulegen und sich in Volksfestatmosphäre zu vergnügen. Es wird geklüngelt, gelacht, gegessen, gesungen und getanzt zur Musik kleiner Gruppen. Besonders populär ist „Katyusha“, die so oft ans Flussufer geht, dass man eine Strichliste darüber anlegen kann. In Dauerschleife läuft auch die Nationalhymne der Russischen Föderation. Oder der SU. Die Melodie ist die gleiche und jeder kann dazu singen, was er oder sie will. Diesen praktischen Nebeneffekt hat ja auch die deutsche Nationalhymne.

Der unreflektierte Stolz auf eine Nation, die offiziell nicht mehr existiert, der Kult um einen Diktator, dessen Verbrechen gegen die Menschlichkeit international toleriert wurden, der mit Militäruniformen, die sogar Kleinkindern übergestülpt werden, zur Schau getragene Militarismus, die Huldigung von Veteranen, von denen kein einziger anwesend scheint und altersbedingt in den kommenden Jahren nicht zu erwarten ist, die markige Präsenz von an Symbolen erkennbaren Gruppierungen, die nie identifiziert werden – all dies gibt der Veranstaltung das unangenehme Air einer nationalistisch-reaktionären Propagandaveranstaltung. Doch eine kritische Perspektive in die Aufnahmen hineinzulesen wäre ebenso willkürlich, wie sie als Idealisierung abzutun. Falls die unambitionierte Abfolge ausdrucksschwacher Beobachtungen überhaupt mehr als die Reproduktion eines Erfolgsschemas ist, dann eine Trivialisierung. Vor allem aber ist sie selbst trivial.

Kommentarlos, kritiklos, konzeptionslos und kunstlos schneidet Sergei Loznitsa für seinen jüngsten Dokumentarfilm Zuschauerbilder von den Gedenkaktionen am Sowjetischen Ehrenmal in Berlin zusammen. Wenn die unbeteiligte Bestandsaufnahme ohne jede politische oder persönliche Korrelation einen Erkenntnisgewinn bietet, dann den, dass Putin-Fan-T-Shirts peinlich aussehen, vier Mal „Katyusha“ eindeutig zu oft ist und jede Hymne eine Zeile enthält, mit der man sich identifizieren kann. Und sei es nur „nehmt eure Mäntel und lasst uns Heim gehen“.

  • OT: Den’ Pobedy
  • Regie: Sergei Loznitsa
  • Drehbuch: Sergei Loznitsa
  • Produktionsland: Deutschland
  • Jahr: 2018
  • Laufzeit: 94 min.
  • Beitragsbild © Berlinale
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