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Re-watched ’14: Michael Moores troubling timeless “Fahrenheit 9/ 11”

Re-watched ’14: Michael Moores troubling timeless “Fahrenheit 9/ 11”

Eine Szene gibt den Ausschlag. All meine Filmfavoriten haben eine Szene (oder mehr), die mich, egal wie oft ich sie sehe, trifft. Wie ein Baseballschläger. So einer trifft in eben solch einer nachhaltigen Szene den Hasen auf den Kopf. Der Film dazu war hier als später 80er Jahrgang chancenlos. Nicht Who framed Roger Rabbit?. Der Baseballschläger traf ein echtes knuffiges Häschen, das anschließend abgezogen wurde. Wie gesagt, es war nicht Roger Rabbit. Der Roger jenes Films ist Roger Smith aus Roger & Me. 

Die Szene ist charakteristisch für die Stärke ihres Dokumentators, das zu zeigen, wovor wir gern den Blick abwenden. Das Unangenehme, Unbequeme. Das, was nicht feel good und family fun ist. Michael Moore hat die gegenwärtige Lebensrealität so eindringlich dokumentiert wie nur wenige. Am eindringlichsten zeigt dies Bowling for Columbine; doch hier geht es um den anderen weitbekannten Michael-Moore-Film. In dessen Prisma spiegelt sich die Gegenwart ebenso wie die letzte Dekade, an der das Beste noch der Name war. The Noughties klingt voll cool, dass es garantiert eines Tages ein Filmtitel wird. Dann gibt es auch T-Shirts mit dem Aufdruck „Noughty by Nature“ und Bücher, in denen neben den Swinging Sixties und Roaring Twenties die Naughty Noughties gefeiert werden. Dabei waren die Noughties nicht naughty und es gab auch nichts zu feiern. Wenn dazumal der eskalierende Neo-Reaktionismus je zurückging, dann um Anlauf für den nächsten Sprung nach vorn zu nehmen. 

Das Schlimmste an den 2000ern ist, dass ich sie einmal als sonnigen Spätherbst verklären könnte, wenn die 2010er endgültig zum klirrend kalten Winter unseres Missvergnügens werden. Es war ein Jahrzehnt voll Konservativismus, Krieg, Krisen und Katastrophen, die alle miteinander verzahnt waren. Michael Moore war der Sand in diesem von mediengesteuerter Paranoia, fehlgeleitetem Patriotismus und staatlicher Propaganda befeuerten Getriebe mit dem Aufsehen erregenden Fahrenheit 9/ 11. Dass die geistreiche Sektion der Anschläge des 11. Septembers sowie ihres Vor- und Nachspiels den mit der Goldenen Palme ausgezeichneten, bis dato erfolgreichsten Dokumentarfilm schufen, lässt eher kalt. Ausschlaggebend ist der inszenatorische Grundton bezüglich seiner Thematik und in weiterem Sinn gegenüber Politik und Filmkunst allgemein: Zorn, Sarkasmus, aber vor allem Hoffnung. Die Hoffnung, dass Filmschaffende eklatante Missstände aufzeigen, das Publikum nicht einlullen wollen, sondern wachrütteln, nicht vorgefasste Meinungen bewerben, sondern selbstständiges Denken und kritisches Hinterfragen anregen. Diese renitente, intelligente und mokante Skepsis ist ein dokumentarisches Ideal, dem sogar der Regisseur selbst nicht immer gerecht wird.

Michael Moores Werk legt nicht nur unbeirrbar eine über die nationale Ebene hinausgehenden Schande offen. Es ist zeitlos in seiner Entlarvung sozialpolitischer, propagandistischer und machtpolitischer Mechanismen. Fahrenheit 9/ 11 startete 2004. Höre ich heute von Leuten, dass historisch inspirierte Filme äquivalent zu Dokus seien („weil das ja wirklich so gewesen ist“), staatliche Totalüberwachung nur für potentielle Kriminelle bedrohlich („Also, ich hab nichts zu verbergen!“) und eine Partei zu wählen, ohne einen einzigen Punkt deren Parteiprogramms zu kennen, völlig okay („Die sind gegen das und das, hieß es irgendwo, und dagegen bin ich auch.“), hoffe ich auf mehr Filme, die uns aus der gleichgültigen Lethargie reißen. „Demokratie ist kein Zuschauersport, sie ist ein Mitmach-Event“, erinnerte Moore 2009, „Wenn wir nicht daran teilnehmen, hört sie auf, Demokratie zu sein.“ Dieses Feature entstand 2014. Oder 1984. Ich bin mir nicht ganz sicher. Sicher bin ich mir nur bei dem Schlüsselzitat des Films – von George Orwell, dessen Vision 13 Jahre nach Beschluss des Patriot Act im Schatten einer neuen Überwachungsaffäre bedrückend nah rückt: 

Hierarchische Gesellschaft ist nur möglich auf der Basis von Armut und Ignoranz. 

George Orwell

Zumindest gegen letzte kann das Kino mit Produktionen wie Fahrenheit 9/11 ankämpfen. Wenn ein paar Leute mitmachen. Keep on rocking in the free world.

  • Beitragsbild © IFC Films © Kashi911