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Fussball-Verrückte: “66/67 – Fairplay war gestern”

Fussball-Verrückte: “66/67 – Fairplay war gestern”

Lass uns irgendwas kaputtmachen, irgendwen“, sagt Florian. Der Braunschweiger hält sich für einen Fußballfan. Tatsächlich ist er Hooligan. Den Fußballverein Eintracht Braunschweig haben Florian und seine Kumpels zum Kern ihres Lebens erkoren. Der Abstieg in die untere Liga droht in Carsten Ludwigs und Jens-Christoph Glasers Milieustudie dem Verein sportlich, den Freunden gesellschaftlich. Fairplay war bei den Protagonisten nicht gestern, sondern nie. Für Florian (Fabian Hinrichs), Otto (Christian Bach), Christian (Christian Ahlers) und Henning (Maxim Mehmet) ist die Verehrung für einen Verein zum Kult ausgeartet. Das Meisterjahr ihres Allerheiligsten haben sie sich in die Haut eingebrannt. Nur in ihrer geschlossenen Gemeinschaft fühlen sie Anerkennung und Überlegenheit. In provozierten Schlägereien mit Fans anderer Vereine lassen sie angestaute Aggressionen raus.

Davon hat jeder reichlich, nur die dafür angegebenen Gründe überzeugen nicht. Florian will lieber Diplom machen als in Papas Unternehmen einsteigen. Zu Özlem (Melika Foroutan), der Schwester seines Kumpels Tamer (Fahri Ogün Yardim), hat er eine unstete Beziehung. Otto verleugnet seine Homosexualität. Nur Florian übertrifft ihn noch an Gewalttätigkeit. “Ich verstehe ja, das brauchen Jungs mit 17 – aber mit 30?”, fragt Özlem. Wenn die Jungs lebensuntaugliche fußballverrückte Versager sind, brauchen sie derartiges Kompensationsverhalten schon. Einzig Tamer kümmert sich um seinen kranken Vater und die Familienkneipe. Der Horizont der anderen endet hinterm Tor. „Rausgehen aus Braunschweig? Wohl verrückt geworden!” Von Fußballfans hat 66/67 – Fairplay war gestern ein denkbar schlechtes Bild. Alle agro und tumbe Müttersöhnchen, denen Mama noch Frühstück macht.

Bloß Florians Welt dreht sich nicht um Sport, sondern um ihn. Was er zur “archaischen” Tugend der Treue und des Zusammenhalts verklärt, ist das verzweifelte Klammern an das Letzte, was seinem unerfüllten Alltag Sinn gibt. In der Schilderung des für die Charaktere unmerklichen Abstiegs ins soziale Abseits, der in bizarrem Gleichklang mit dem ihres Vereins steht, liegt das filmische Potenzial. Doch das flache Drama reduziert die Ambivalenz der Figuren auf ein Minimum und verbannt die interessanteren Konflikte auf die Ersatzbank. Die Bemühungen Glasers und Ludwigs, ihren Figuren einen Hauch Heroismus abzugewinnen, mündet höchstens in unfreiwilliger Komik. So verkündet Otto: “Das Bekenntnis, versagt zu haben, ist die Königsdisziplin.” In der ist 66/67 – Fairplay war gestern immerhin Tabellenführer.

  • OT: 66/67 – Fairplay war gestern
  • Regie: Carsten Ludwig, Jan-Christoph Glaser
  • Drehbuch: Carsten Ludwig
  • Produktionsland: Deutschland
  • Jahr: 2009
  • Laufzeit: 115 min.
  • Cast: Fabian Hinrichs, Christoph Bach, Melika Foroutan, Maxim Mehmet, Fahri Yardim
  • Kinostart: 09.1.2009
  • Beitragsbild © Farbfilm