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Berlinale Kritik zu “Unter Männern – Schwul in der DDR”

Berlinale Kritik zu “Unter Männern – Schwul in der DDR”

So etwas sei dort nicht vorgesehen gewesen, erinnert sich Eddy Stapel: „Die Reste der bürgerlich-dekadenten Moral“. Westlich-dekadent ist sogar das Wort für das, was nach dem Schwulen-Aktivisten „zur sozialistischen Gesellschaft nicht passt”: Coming out. Genau so lautet der Titel der ersten DEFA-Produktion, die Homosexualität in der DDR thematisierte.

Am strategisch ungünstig auf den 9. November 1989 gelegten Premiere gab es wichtigere Neustarts als den des mit Ringo Röseners Filmdebüt themenverwandten Werks im Berliner Kino International. Von dort radelt der Regisseur, dessen eigene Erinnerungen an den Oststaat die mit Markus Stein inszenierte Dokumentation in der Berlinale Sektion Panorama Dokumente einleiten, entlang der Mauerreste an der East Side Gallery, wo sich auf einem Graffiti Honecker und Gorbatschow den Bruderkuss geben. Das Maximum an Männerliebe, was unter dem Sozialismus geduldet wurde? Zwischen ironischer Revision und vager Bedrückung durch eine teils bereits verdrängte Diskriminierung schwanken die Anekdoten. Die ambitionierte Reportage trägt sie Unter Männern so unterschiedliche wie dem aus der DDR geflohenen Szenefrisör Frank Schäfer, dem 80-jährigen Grafiker Jürgen Wittdorf und einem Glasbläser aus der Thüringer Provinz zusammen für einen unterhaltsamen, doch die Neugier mehr anstachelnden als befriedigenden Einblick von der Lebensrealität Unter Männern.

Vielleicht hilft es manchen anderen, aus meinem Leben Lehren zu ziehen“, sagt Christian. Die meiste Zeit dieses Lebens hat der Sport- und Lateinlehrer sich versteckt. Vor Familie, Kollegen und sich selbst. Nun, da er pensioniert und die Zeit eine andere ist, hat er dennoch mitgemacht bei dem dokumentarischen Einblick in ein missachtetes Kapitel deutscher Geschichte. Die Nazi-Zeit war vorüber, die des verschärften Paragraf 175 nicht. Das faschistische Gedankengut gärte weiter, übertüncht von einem neuen Anstrich. Jürgen Wittdorf lackierte ihn als Jugendlicher selbst auf die Trommeln der HJ, damit zu ihnen in der FDJ marschiert werden konnte. Die nachhaltige Verunsicherung, von der Zeitzeugen berichten, lässt eine herbere Realität erahnen als die evozierte nachsichtige Verklemmtheit gegenüber Schwulen. Naiv scheint Rösener, wenn er bei seinen sechs Protagonisten nachfragt, sei es Ostdeutschlands schrillster Friseur Frank Schäfer oder der in der Thüringer Provinz aufgewachsene John Zinner.

In der DDR habe es nur das gegeben, was Partei und Staat wollten, benennt der ostdeutsche Schwulen-Pfarrer Eddy Stapel den Zusammenhang von Negation und Diskriminierung. Diese deprimierende Erkenntnis spricht aus Christians Einschätzung ostdeutscher Toleranzgrenzen: Man hätte froh sein müssen, überhaupt ein schwules Leben zu haben.

  • Regie: Ringo Rösener, Markus Stein
  • Produktionsland: Deutschland 2011
  • Jahr: 2011
  • Laufzeit: 91 Min.
  • Beitragsbild © Berlinale