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Berlinale ’12: So Yong Kims “For Ellen” knüpft zärtlich & zaghafte Familienband

Berlinale ’12: So Yong Kims “For Ellen” knüpft zärtlich & zaghafte Familienband

Komisch, wie sich die Dinge entwickeln“, murmelt Joby. „Zuerst war es Claire, die Ellen nicht wollte.“ Sechs Jahre sind seitdem vergangen. Jahre, in denen die Mutter seines Kindes Ellen Fürsorge und ein Heim gegeben hat. Joby hat seiner Tochter nichts gegeben. Verheiratet sind seine Ehefrau und er nur auf dem Papier. Dieses Stück Papier ist der Grund für die Reise des unsteten Musikers (Paul Dano) an den Ort, wo er einst seine Tochter zurückgelassen hat, und nun mit Claire (Jena Malone) streitet. Seltsam, wie sich die Dinge entwickeln. 

Die dezidierte Schreibweise des Titels ist stiller Verweis So Yong Kims auf die emotionale Ungewissheit, eine alles überschattende Furcht hinter der zärtlich-komischen Begegnung ist. Die vernachlässigte Tochter ist für Joby auf mehrfacher Ebene ein Objekt: des Streits und des Besitzes. „Ich dachte, ich kriege von allem die Hälfte.“, klagt er. „Die Hälfte vom Haus, die Hälfte von der Kleinen.“ Interessant wird für den ichbezogenen Protagonisten die Titelfigur erstmals als etwas außerhalb seiner Reichweite, das der Reiz des verbotenen Umgangs begehrenswert macht. Er will sich im Recht fühlen und moralisch überlegen, wohlwissend, dass er weder das eine noch das andere ist. Das enthüllt sich am deutlichsten, wenn seine Vernachlässigung und Mangel an Verantwortung Konsequenzen zeigen. 

Die Schuld sieht Joby immer bei den anderen, sei es Noch-Ehefrau Claire, sein Anwalt, den er als nutzlos beschimpft, weil er der Lage nicht abhelfen kann, oder ein Bandkollege, dem er am Handy anschreit: „Ohne mich bist du nichts!“ Die beklommene Stille der matten Winterlandschaft zeigt, dass tatsächlich er nichts ist ohne die anderen. Seine Fahrt in die Einöde gleicht einer Wiederholung des Fluchtschemas, das ihn vor seiner Elternrolle davon laufen ließ. Vor der Aussichtslosigkeit seiner Karriere flüchtet Joby in die verschneite Kleinstadt, wie er einst aus ihr zu einer erhofften Musiklaufbahn floh. Mit seinen schwarz lackierten Fingernägeln und den Ohrringen ist er ein Fremdkörper in der verschlafenen Kleinstadt und Claires Zuhause, das Geborgenheit ausstrahlt. 

Unter der kalten Oberfläche schlummert eine irritiere Wärme, auf die Joby erstmals bei seinem Rechtsvertreter trifft. Die Figur des geordneten Anwalts (Jon Heder) konstruiert die Regisseurin in ihrer nachdenklichen Detailstudie als Spiegelbild der zur Anpassung unfähigen Hauptfigur. Ihre gegensätzlichen Lebensweisen sind Kehrseiten einer Medaille. Beide sind große Jungen, die sich auf unterschiedliche Weise vorm Erwachsenwerden drücken. Der eine lebt bei seiner Mutter in der Rolle des ewigen Kindes, der andere umgibt sich mit der trotzigen Egozentrik eines rebellischen Teenagers. Joby hindern Scheuklappen aus Narzissmus und Aggressivität daran, die Lebensrealität um sich voll zu erkennen, seinen fast gleichaltrigen Anwalt Schüchternheit und Menschenscheu. 

Es scheint mehr die Konfrontation mit diesem alternativen alter ego als der Anblick seiner Tochter, der ihn einen Schritt nach vorn bringt: Für Ellen, in deren Kinderzimmer ihn eine mehr als rein physische Kälte treibt.

  • OT: For Ellen 
  • Regie: So Yong Kim
  • Drehbuch: So Yong Kim
  • Produktionsland: USA
  • Jahr: 2012
  • Laufzeit: 94 min.
  • Cast: Paul Dano, Jon Heder, Shaylena Mandigo, Jena Malone, Margarita Levieva, Dakota Johnson, Alex Mauriello
  • Beitragsbild © Berlinale 
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