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“Traumland” ist abgebrannt – Kritik zu Petra Volpes Sozialdrama

“Traumland” ist abgebrannt – Kritik zu Petra Volpes Sozialdrama

Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen, wie glänzt es festlich lieb und mild…“ Erstes trifft zu, zweites kaum für Petra Volpes spröden Feiertagsfilm, der nicht besinnlich stimmen will, sondern betroffen. Der Weihnachtsbaum befindet sich in der Anfangsszene in freiem Fall und auf ähnlichem Kurs sind die Protagonisten.

Schnittpunkt deren episodischer Erlebnisse an einem nasskalten Heiligabend in Zürich ist die 18-jährige Bulgarin Mia, die Geld für ihre Familie verdienen will. Auf dem Straßenstrich. Dort haben die wachsenden staatlichen Repressalien, die Prostitutionsgewerbeverordnung und Schließung des Sihlquai die Arbeitsbedingungen der SexdienstleisterInnen drastisch verschlechtert. Angesichts der auch in den Nachbarländern angewandten oder drohenden Repressalien könnte man annehmen, dass die Regisseurin und Drehbuchautorin in ihrem Kinodebüt die aktuellen Missstände aufzeigen will. Stattdessen wiegt Traumland sein Publikum in der Sicherheit abgenutzter Phrasen. Die drischt vor allem die verspießerte Bürgerschicht, die eher mit mitleidiger Nachsicht gezeigt, denn in ihrer Selbstgerechtigkeit demaskiert wird. Früher seien das Schweizerinnen gewesen, bemerkt der Vater eines Freiers, der Mia als Familienersatz zum Feiertagsessen einlädt und pikiert ist, als sie tatsächlich auftaucht. Äußerlich gilt der Kommentar Pflegekräften im Altersheim, doch gemeint sind implizit Prostituierte.

Volpes akurates Züricher Traumland wirkt je ranziger, desto mehr Ausländer man antrifft. Solche sind die negativsten der Figuren: die spanische Nachbarin Maria (Marisa Paredes), die Mias das letzte Geld und die einzige Rettung raubt. Der bulgarische Zuhälter, der sie mit falschen Versprechen gelockt hat. Sein italienischer Cousin, der Mia verschleppen will. Schließlich die pampige und abgestumpfte Mia selbst. Sie verkörpert das Kehrbild des Klischees von der Hure als verruchter Verführerin: das Opfer. So war es schon bei Schopenhauer, den der Vater eines anderen Freiers während eines anderen Feiertagsschmauses bemüht: „Die Prostituierten sind die Opfer auf dem Altar der Monogamie.“ Schuld daran sind prüde Ehefrauen, deren Männern laut Mias Worten bei ihr „Blasen. Arschficken. Was ihre Frauen nicht machen.“ suchen. Eine solche Ehefrau findet wie Lena (Ursina Lardi) im Familienauto irgendwann „Lubrikat easy anal“-Gleitgel und muss erst sich, dann Mia fragen, was sie versäumt hat. Gesteigert wird die eheliche Frustration der werdenden Mutter Lena durch ihre sexuelle, aus der sie sich zu Filmbeginn in der Badewanne befriedigt. Unerfüllt lebt auch Sozialarbeiterin Judith (Bettina Stucky), die nach Feierabend im Stundenhotel ihren „Sheriff“ zum Sexdate erwartet.

Sogar die gealterte Katholikin Maria, der Mia hinrotzt „Du brauchst mal ficken“, verinnerlicht den Rat und schlüpft in Strapse für ein Weihnachtsessen mit einem Kirchen-Bekannten. Der aber will keine Frau, „die angezogen ist wie eine Hure“. Männer wollen wie zu Schopenhauers Zeiten gefallene Mädchen als Lustobjekt, aber daheim eine treue, mütterlich-fürsorgliche, sozial engagierte Gattin. Um dieses Stereotyp zu zementieren, sagt Lenas Schwiegermutter „So sind sie eben, die Männer.“ Aber irgendwo haben es die Frauen im Traumland sich und den Männern auch selbst verbockt, weil sie unbedingt alt werden mussten, dick oder schwanger. Besser sie halten ihren Mann fest, wie Judith, die ihrem Partner nach einem Streit hinterher telefonieren und Lena, die ihre Ehe „nicht wegen so einer blöden Fickgeschichte“ aufgibt. Besonders hartherzig wirken die Worte nach Lenas Begegnung mit Mia, die ihr eigenes Kind erwähnt. Statt seiner erwartet die junge Frau ein eiskaltes Ende auf einer Bank: erfroren in sozialer Kälte. Das ist so tragisch-plakativ, dass der Ensemblefilm im Sommer startet. Man will ja niemandem die Feiertagslaune vermiesen.

So viel Aufhebens sind Menschen wie Mia dann wohl doch nicht wert. Wie Lenas Ehemann mault: „Willst du uns jetzt wegen so ‘nem Stück Müll die ganze Weihnachten verderben?“ Letztlich reproduziert Volpe nur die Klischeebilder derer, die Prostitution nur aus Klatschnachrichten und Melodramen kennen. Im Zuge der politisierten Stigmatisierung des Gewerbes dürften das bald noch mehr sein.

  • OT: Traumland
  • Regie: Petra Volpe
  • Drehbuch: Daniel Lambo, Petra Biondina Volpe
  • Produktionsland: Schweiz, Deutschland, Belgien
  • Jahr: 2013
  • Laufzeit: 98 min.
  • Cast: Luna Zimic Mijovic, André Jung, Bettina Stucky, Marisa Paredes, Ursina Lardi, Devid Striesow
  • Kinostart: 20.11.2014
  • Beitragsbild © Farbfilm