#movie #review #cinema #critic #film #festival #podcast

“Good Luck Finding Yourself” dokumentiert weiße westliche Wehleidigkeit – unfreiwillig

“Good Luck Finding Yourself” dokumentiert weiße westliche Wehleidigkeit – unfreiwillig

Sterben in Würde? Nicht mit den Dreien von der Kommune I, die nach Indien zur spirituellen Kaffeefahrt aufbrechen. Unfreiwillig komisch? Ja. Reicht das für einen Kinobesuch? Nein. 

Wenn ein Elternteils stirbt, schlägt die Stunde auch für manchen aufstrebenden Nachwuchs-Filmer. Kamera drauf und eine tief bewegende Dokumentation drehen! Wunderbare Werke der Trauerarbeit wie vor zwei Jahren David Sievekings Vergiss mein nicht markieren ein Ende des qualitativen Spektrums. Am anderen steht Severin Winzenburgs Version von Dschungelcamp.

Dort hatte Rainer Langhans seinen letzten Auftritt, den man sich so ähnlich vorstellt wie in dem abendfüllenden Urlaubsvideo mit seinen drei Dauerfreundinnen Jutta Winkelmann, Christa Ritter und Brigitte Streubel. Vor einer Ewigkeit stand Langhans mal unter Überwachung des deutschen Verfassungsschutzes. Beim Staatsbesuch von Hubert H. Humphrey titelte die BILD von Langhans sogar: Geplant: Berlin – Bombenanschlag auf US-Vizepräsidenten. Das hätte man von Langhaus nicht gedacht, der milde dahin lächelt, während das Damen-Trio einander zerfleischt. Tatsächlich hat die BILD-Schlagzeile ein Detail vergessen. Die als Vietnamkriegs-Protest gedachte Bombenladung war aus Pudding. Diese Unverhältnismäßigkeit von Dramatik und realem Anlass des BILD-Titels ähnelt der des Films. Winzenburgs Mutter Jutta leidet in hohem Alter an Krebs. Sterben ist da normal? Findet Jutta nicht und begibt sich auf einen Selbstfindungstrip nach Indien, im Schlepptau die liebsten Feinde aus Kommunen-Tagen. Was nach dem Plot einer Rentnerkomödie klingt, ist peinliche Dokumentation aggressiven Selbstmitleides. Meisterschaft erreicht darin die Hauptfigur, die während ihres eigenen Films auf ihrer persönlichen Pilgerfahrt anlässlich ihres unermüdlich heraufbeschworenen Todes klagt, es ginge nie um sie. 

Ihre Intimfeindinnen sind im Meckern aber auch nicht schlecht. Die eine kriegt einen Hexenschuss, der in der nächsten Einstellung wundersam geheilt ist, die andere kriegt erhöhte Temperatur, die in einer Nachttour zum nächsten Krankenhaus mündet. Aber keine Angst, sterben muss niemand. Sogar Winzenburgs Mutter lebt ein Jahr nach Drehende noch und wird womöglich auf ihrer Frenemies’ Grab Yoga machen. Vor der Kamera hat die meditative Ruhe dazu einzig Langhans, der zurückgelehnt mit geschlossenen Augen vergleichsweise ein Bild kosmischen Gleichmuts abgibt. Wenn er den Mund aufmacht, ist er dafür (Zitat einer Kollegin) „ein Arschloch vor dem Herren“. Einer Gefährtin doziert er, sie habe Anpassungsschwierigkeiten „weil du extrem asozial lebst“. Vorbildlich scheint ihm hingegen das Leben der Bettelkinder und Straßenverkäufer, denen die Deutschen in gebrochenem Englisch vorhalten, wie glücklich in Indien alle trotz Armut seien: „Da ist viel weniger das Materialistische.“ Höchste Zeit, dass denen in den benachteiligten Ländern wer erklärt, dass sie statistisch voll happy sind gegenüber uns Luxusgören. „Big money doesn’t make happy!“, predigt Jutta einem arbeitenden Jungen, der sagt, wenn sie eine Deutsche sei, habe sie sicherlich Geld: „You are more happy than we.“ 

Die Überdosis weltfremde Selbstgerechtigkeit, ausgerechnet von vier Alt-68ern, grenzt ans Groteske. „Sind die süß!“, schwärmt Jutta angesichts abgemagerter, auf kotigem Steinboden angebundener Kühe, „Ich könnte hier leben.“ Zuvor steht Erleuchtung auf der Agenda. Leider ist noch kein Meister vom Himmel gefallen, sodass all die Ashrams vergebens abgeklappert werden. Sogar der guru-gleiche Langhans verliert die Verbindung zum Nirvana des 21. Jahrhunderts: „Das WLAN geht hier noch nicht.“ Von heuchlerischer Selbstreflektion ist es nicht weit zu Selbstbeweihräucherung. Da lässt sich die Gruppe schon mal als „von der deutschen Regierung gesandtes Filmteam“, das „eine Doku über Religion“ dreht, feiern, und der Regisseur hält auf einen Gläubigen, der ruft: „Das hier sollte alles im Fernsehen laufen.“. Der fromme Wunsch wird wahr, schlimmer: Es läuft sogar im Kino. Auf DVD gibt es dann bestimmt einen Director’s Cut mit den besten Outtakes: Hier kaufen alle Souvenirs und da heult Mama in Großaufnahme. Das epische Gejammere der Protagonisten über ihre Aktion kulminiert in Juttas pathetischer Egozentrik: „Tot sein ist blöder!“ Das  der Film. 

  • OT: Good Luck Finding Yourself
  • Regie: Severin Winzenburg
  • Drehbuch: Severin Winzenburg
  • Produktionsland: Deutschland, China, Indien, Pakistan
  • Jahr: 2014
  • Laufzeit: 95 min. 
  • Cast: Jutta Winkelmann, Rainer Langhans, Christa Ritter, Brigitte Streubel
  • Kinostart: 23.10.2014
  • Beitragsbild © Alpenrepublik GmbH